Backstein ist zeitlos, altert in Würde, besticht durch hervorragende thermische Eigenschaften, erfordert keinen intensiven Pflegeaufwand – alles gute Argumente in Sachen Nachhaltigkeit. Ein weiterer Aspekt gewinnt aktuell immer mehr an Bedeutung, weil das Material damit in Zeiten der Klimadiskussion besonders heraussticht: Backstein eignet sich wie kein anderer Baustoff für die Wiederverwertung, und das auf ganz unterschiedliche Weise.

Prominente Taktgeber
„Wir befinden uns derzeit im Wandel von einer auf Produktion ausgerichteten Gesellschaft hin zu einer, deren Ziel es sein wird, Ressourcen und Materialien wiederzuverwerten.“ Das sagt mit Arno Lederer einer, der es wissen muss. Seit Jahrzehnten ist Backstein das bevorzugte Material für das Büro LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei – und zwar gern im Re-Use-Kontext, wie zwei bemerkenswerte Bespiele zeigen: Mit der für den Fritz-Höger-Preis 2020 für Backstein-Architektur nominierten neuen Zentrale für die dm-Kette in Karlsruhe bewiesen LRO einmal mehr, wie gut Abbruchziegel einem modernen Gebäude stehen. In einem Backsteinbau kulminiert diese Haltung: in dem vielfach preisgekrönten und schon 2014 für den Fritz-Höger-Preis nominierten Kunstmuseum Ravensburg von 2013. Es ist aus Altziegeln, also wiederverwendeten Steinen, aus unterschiedlichen Quellen errichtet. Neben der besonderen Ästhetik bedeutet das vor allem: viel „Graue Energie“, die im Material gespeichert bleibt. Das mögen sich auch David Chipperfield Architects beim Umbau und der Sanierung des Neuen Museums in Berlin gedacht haben, wo 350.000 aufgearbeitete Backsteine neu vermauert wurden. Das erspart der Atmosphäre pro Stein 500 Gramm CO2-Emissionen – abgesehen vom ästhetischen Erlebnis macht das eine beeindruckende Rechnung auf.

Der Kreislauf der Materialien
Die Aufmerksamkeit für die Wiederverwendbarkeit von Baustoffen steigt. Belgien, die Schweiz und vor allem Dänemark sind Vorreiter. Aber auch Deutschland zieht nach. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip ist inzwischen eine feste Größe in dem Prozess, so wenig Abfälle wie möglich zu produzieren und Materialien zu verwenden, die beliebig oft wiederverwertet werden können. Recycling und Re-Use sind dabei keine Synonyme. Bei der Wiederverwertung 1:1 kommen die Backsteine in ihrem ursprünglichen architektonischen Kontext erneut zum Einsatz – ein Alleinstellungsmerkmal des Baustoffs. Baumaterialen ohne Rückstände von Dämmmaterial und Klebstoffen, Mörtel- oder Putzanhaftungen sind am besten geeignet, ein zweites oder gar drittes Leben zu führen. Wo ein Bauteil nicht wiederverwertet werden kann, setzt Recycling mit einem Kreislauf aus Vorabrieben, Zerkleinern, Klassifizieren und Sortieren an. Nicht nur auf klassischen Baustellen warten Einsatzorte. Ziegelbruch und Schotter verschiedenster Körnungen eignen sich bestens im Straßenbau, für Tennisplatzbeläge und als Substrat im Garten- und Landschaftsbau.

Umschichten statt Abriss und Neubau
Bei zehn Millionen Tonnen Ziegelbruch jährlich lohnt sich der Ausbau der Infrastruktur zur effektiven Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört auch ein Schritt rückwärts, nämlich bereits beim Entwurf darüber nachzudenken, wie ein realisiertes Gebäude am Ende seiner Lebenszeit möglichst sortenrein abgebrochen werden kann. Notwendig ist ein ineinandergreifendes Netzwerk verschiedener Stationen des Materialkreislaufs: etwa Übersichtskarten mit Annahmestellen von Ziegelbruch (www.ziegel.de/recycling#karte), spezialisierte Unternehmen für den Abbruch, die Sortierung und Weiterverarbeitung des Materials, aufgeschlossene Bauherrschaften und Planende, die sich gebrauchten Baustoffen nicht verschließen, im besten Fall sogar die Vorteile schätzen und sie gezielt suchen. Hilfreich ist der sogenannte Materialpass, das Ergebnis eines 16 Institutionen umfassenden Forschungsprojekts „Building as Material Banks“ (BAMB), der die verwendeten Materialien eines Gebäudes nachweist. Unter dem Stichwort Urban Mining werden ganze Städte zunehmend als Materiallager gesehen – Umschichten statt Abriss und Neubau. Und für die Hersteller existiert mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz auch ein juristischer Leitfaden.

Mauerwerk mit Geschichte
Besonders viel Aufmerksamkeit erzielen naturgemäß Vorzeigefassaden nach dem Vorbild LROs oder Chipperfields. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Bei „The Ressource Rows“, einem Wohnprojekt in Kopenhagen, steckt das Programm schon im Namen: Das dänische Büro Lendager Group hat hier ganze Wandteile aus Abbruchhäusern geschnitten und im Mix mit neuem Mauerwerk und großen Glasflächen eine sehr eigenwillige Patchwork-Optik geschaffen. Nachhaltigkeit und architektonische Frische – die Häuserzeilen wecken Aufmerksamkeit und waren für den mies award 2022 nominiert.

Tillmann Wagner Architekten erhielten eine Special Mention beim Fritz-Höger-Preis 2020 für das Sedimentloft Marienwerder. Das Ein-Raum-Ferienhaus in Brandenburg ist aus Abbruchziegeln einer ehemaligen Remise gebaut. Der Name spiegelt die Entstehung von Ziegeln aus Lehm als Ablagerung von Sedimenten. Schichtungen treten auch mit den unterschiedlichen Ziegelfarben und der klaren Ablesbarkeit des Sockel-, Wand- und Dachbereichs auf.

Und dann ist da noch die Casa Rossa in Chemnitz, Bronze-Gewinner Fritz-Höger-Preis 2020 für Backstein-Architektur. Behutsam aufgearbeitet, erzählt die Backsteinfassade Baugeschichte. Auch innensorgen freigelegte Wände für ein ganz besonderes Gründerzeit-Flair.

Strategie mit Potenzial
Nur eine Handvoll Beispiele – aber diese belegen eindrucksvoll, was mit wiederverwendetem Backstein möglich ist. Das ist nicht nur günstig für die Klimabilanz, es bringt auch neue ästhetische Reize und/oder hilft neuen Gebäuden, sich mit charaktervollen statt allzu glatten Fassaden in ihre Umgebung einzubringen.

Ob Re-Use oder Recycling: Unabdingbar ist eine noch höhere Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit und das Potenzial, das darin steckt, sowie die weitere Steigerung der Wertschätzung gebrauchter Materialien. Rückendeckung könnten Ideen wie eine niedrigere Mehrwertsteuer für diese Baustoffe sein oder Regelwerke wie die Zero-Waste-Strategie in Berlin, die ihren Katalog von Beton auf Backstein ausgedehnt hat und bis 2030 eine Ressourcenwende herbeiführen möchte. Hier ist also auch der politische Wille gefragt.

Kontrast im Zeichen der Wiederverwertung: Außen kündet die ruppige Fassade der Casa Rossa von den Wirren des vergangenen Jahrhunderts – im Inneren wurden die Abbruchziegel recycelt und lasiert. Bildnachweis: © Steffen Spitzner | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur

Die geschlossenen Fassadenpartien der neuen dm-Zentrale in Karlsruhe bestehen aus Abbruchziegeln. Im Sinne des Cradle-to-Cradle-Prinzips gingen die Vorstellungen der Planer und des Auftraggebers hier Hand in Hand. Bildnachweis: © Roland Halbe, Stuttgart | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur

Re-Use mit Geschichte: Beim Sedimentloft Marienwerder schützen die gebrauchten Ziegelsteine im Reichsformat nicht nur Ressourcen, sondern erinnern zugleich an den Großvater des Bauherrn, aus dessen baufälliger Remise sie stammen. Bildnachweis: © twarc | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur